Kindergartenprojekt für Ayoréo-Indianer in der Gemeinde Garay in Santa Cruz / Bolivien - Warum und wofür ?
Im November 2012, nach einer Vorbereitungszeit von über einem Jahr – und nach vielen Schwierigkeiten – haben wir in der Tieflandmetropole Santa Cruz de la Sierra in Bolivien mit dem Bau eines Kindergarten-Gebäudes in der Comunidad Ayorea Garay begonnen.
Das Volk der Ayoreo auch Ayoreode genannt, ist heute eine der 36 Ethnien Boliviens und es zählt zu den letzten Urvölkern Südamerikas. Die Ayoreo bewohnten den nördlichen Teil, des sich über den heutigen Südosten Boliviens, über Paraguay bis Argentinien erstreckenden Gran Chaco. Durch den Chaco Krieg, Erdölbohrungen und Agrarindustrialisierung mit Waldrodungen für Viehherden und Sojafelder wurde und wird ihr Lebensraum in unvorstellbarem Ausmaß zerstört.
Schließlich kamen sie etwa zwischen 1970 und 1980 neuen Lebensraum, Lebensunterhalt und medizinische Hilfe suchend auch in die Stadt Santa Cruz de la Sierra. Nach der letzten Volkszählung 2012 leben in Bolivien ca. 2500 Ayoreo in 27 Gemeinden. Die “Comunidad Ayorea Garay“ liegt im Nordosten der Stadt Santa Cruz de la Sierra im Stadtteil “El Dorado“. Dort leben heute etwa 280 Ayoreo, davon etwa 150 unter 18 Jahren.
Von der Dornbuschsteppe in die Stadt! – Ohne Vorbereitung, Ausbildung oder Berufskenntnis, war und ist das Leben in der Stadt für sie sehr schwer. Gleichsam von der “Steinzeit“ in die moderne Zivilisation katapultiert, waren sie gezwungen, ihr Leben in kürzester Zeit drastisch zu ändern und an moderne Verhältnisse anzupassen.
Gegenwärtig geht über die ganze Erde hin die Zeit der sich selbst regierenden Stämme dem Ende zu. Überall in der Welt geben sie ihre Rolle als selbständige Überlebenseinheiten an Staaten ab, und es sieht so aus, als ob die Übernahme nationaler Charakteristika durch die Angehörigen dieser Stämme geradezu zur Selbstverständlichkeit wird.
Vielleicht aufgrund des harten Daseinskampfes in ihrem ursprünglichen Lebensraum der Dornbuschsteppe, die sie in relativ kleinen Gruppen von ca. 15 bis 20 Personen durchstreiften, und die ihnen bei Gefahr stets auch als Rückzugsbasis dienen konnte, war es im Gegensatz zu anderen Indianern des Tieflandes, weißen Eroberern, Großgrundbesitzern und Missionaren (Jesuiten) nie gelungen, die Ayoréo dauerhaft zu unterwerfen, zu christianisieren bzw. sie nach unserem westlichen Verständnis zu “zivilisieren“. Ein Anpassungsprozess über Jahrhunderte, an die bolivianische Gesellschaft, wie ihn etwa die Chiquitano und andere Stämme des Tieflandes durchmachen mussten, fand bei den Ayoreo nicht statt.
Die Niederlassung von Ayoreo in Santa Cruz führte schließlich zu deren erheblicher Diskriminierung durch die dort bereits ansässigen und etablierten Bewohner. Mit ein Grund dafür dürften die hervorstechende Ungleichheit und Verschiedenheit ihrer, vom Durchschnitt der bolivianischen Gesellschaft noch erheblich abweichenden, Verhaltensstandards sein. Diese Verhaltensstandards lassen es auch heute noch nicht zu, dass ein Ayoreo ob weiblich oder männlich – abgesehen von ganz vereinzelten Ausnahmen – in Gemeinschaft mit Nicht-Ayoreo zu leben vermag. Zu Unterschiedlich sind noch die jeweiligen Lebensgewohnheiten, und so führen die Ayoreo heute immer noch ein Dasein parallel zur bolivianischen Gesellschaft, ghettoisiert, weitgehend in Armut, mit Bettelei, Prostitution, anfällig für Krankheiten, Alkoholismus und Drogen, und für die Kinder und Jugendlichen auch weitgehend chancen- und perspektivlos.
Aufgrund des explosionsartigen Bevölkerungswachstums weltweit – auch in Bolivien – verändert sich aber für die Ayoreo in Garay fast täglich auch die Infrastruktur in ihrer unmittelbaren Umgebung im Sinne einer zunehmend dichteren Bebauung und Besiedlung, mit weitreichenden Auswirkungen auf ihren Alltag. D.h. der gesellschaftliche Druck auf die, über viele Jahrhunderte sich Fremdzwängen widersetzenden Waldbewohner, verstärkt sich. So verstärkt die Zunahme der Einwohnerdichte klar die Konkurrenzsituation beispielsweise auf dem Arbeitsmarkt erheblich, und viele Ayoreo, mittlerweile als Tagelöhner und Hilfskräfte bei Garten- und Bauarbeiten tätig, werden gezwungen, bei ihrer Arbeit mehr Kontinuität und Anpassung zu zeigen als gewohnt.
Das ganze Ausmaß der auf den ersten Blick nicht gleich ins Auge springenden Unterschiede in den Verhaltensstandards der Ayoreo, von denen der bereits etablierten bolivianischen Gesellschaft ist enorm und der bislang von den Ayoreo geleistete und noch zu leistende Anpassungsprozess gewaltig. Wir haben die Ayoreo vorwiegend in Garay über nun mehr als sieben Jahre begleitet und dabei deutlich Ansätze in Richtung von Integration und Anpassung beobachtet, sicher nicht im Eiltempo aber kontinuierlich - und wie es aussieht, ist unser Kindergarten ja auch ein Schritt in diese Richtung.
item e.V. hat in Garay 2012 diesen Kindergarten gebaut, um kleine Kinder durch frühzeitiges behutsames Heranführen an Reglements und Einüben von Stetigkeit auf den Schulbesuch vorzubereiten. Ayoreo leben in Gemeinschaftsverbänden und so lernen die Kinder anfangs auch nur ihre Muttersprache ´Zamuco´. Nicht zuletzt weil Mütter oder Großmütter regelmäßig ihre Kinder bzw. Enkel mit zum Betteln auf die Straße nehmen, und sie auch in ihrer Gemeinde ohne jegliche Reglements aufwachsen, tun sich die Kinder sehr schwer, sich in der Schule anzupassen.
Die Lehrer in staatlichen Schulen haben demzufolge auch enorme Probleme mit den Ayoreo-Kindern. Inzwischen besuchen die ersten Kinder aus “unserem“ Kindergarten bereits die staatliche Grundschule und Dank der im Kindergarten gewonnenen Fähigkeiten kommen sie erstaunlich gut in der Schule zurecht. Besonders freuen sich die Eltern, dass die Kinder schon im Kindergarten durch die städtische Erzieherin korrektes Spanisch lernen. Auch arbeiten seit drei Jahren im Kindergarten drei Ayoreo-Frauen als Erzieherin, Köchin und Reinemachefrau unter Anleitung der städtischen Erzieherin sehr erfolgreich und mit erstaunlichem Eifer und großer Kontinuität. (Während dieser drei Jahre haben sie nicht einen Tag gefehlt!)
Besonders erwähnenswert ist die großzügige, und stets freundliche Unterstützung des Projekts durch Behördenvertreter der Stadt Santa Cruz de la Sierra. Die Behörden standen immer voll hinter dem Projekt und haben es in jeder Hinsicht gefördert und unterstützt. So hat die Stadt Santa Cruz die Umzäunung des Kindergartens finanziert, und die gesamte Einrichtung des Kindergartens zur Verfügung gestellt. Auch finanziert die Stadt Santa Cruz Trockenlebensmittel für den Kindergarten, sie hat Gehaltszahlungen für die Anstellung einer Ayoreo-Köchin, einer Ayoreo-Reinmachefrau und einer Ayoreoerzieherin bislang übernommen und sogar eine motivierte Erzieherin, die bereits viele Jahre einen staatlichen Kindergarten geleitet hat, für den Kindergarten in Garay zur Verfügung gestellt.
Wir denken daher, dass die Ayoreo unter guter Anleitung eine sehr gute Chance haben, sich zu integrieren und “ihren Weg zu machen“. Die meisten Ayoreo-Jugendlichen (ca. 95%) sind ohne Schulausbildung und dadurch ohne motivierende Zukunftsperspektive. Sie sind daher anfällig für negative Entwicklungen. In Garay nun, bestärkt durch die positiven Erfahrungen mit dem Kindergarten-Projekt, auch durch das Beispiel der drei Frauen aus ihrer Gemeinde, die gezeigt haben, wie gut sie in der Lage sind, ihren “Beruf“ rasch und zuverlässig zu erlernen und auszuüben, und wie sie dadurch ihr Einkommen und ihre Situation zunächst einmal deutlich verbessern können, möchte item e.V. 2018 ein Berufs-Ausbildungsprogramm für junge Ayoreo der Gemeinde Garay beginnen.